Signal & Rauschen https://signalundrauschen.de Wed, 24 Jan 2018 17:21:39 +0000 en-US hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.8.6 https://signalundrauschen.de/wp-content/uploads/2017/05/cropped-Logo_L-32x32.png Signal & Rauschen https://signalundrauschen.de 32 32 Wasserstand: Was die Zahlen einen Tag vor der Bundestagswahl sagen https://signalundrauschen.de/2017/09/23/wasserstand-was-die-zahlen-einen-tag-vor-der-bundestagswahl-sagen/ Sat, 23 Sep 2017 12:38:00 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=554 Selten gab es vor einer Bundestagswahl so viele verschiedene Modelle, um den Ausgang vorherzusagen (auch wenn sich viele gegen den Begriff Vorhersage wehren – letztlich müssen sie sich daran messen lassen, wie die Zahlen im Vergleich zum Wahlergebnis gelegen sind). In dieser Tabelle habe ich alle Zahlen gesammelt:

Alle Zahlen vor der Bundestagswahl im Überblick:

Tabelle: Alle Zahlen vor der Bundestagswahl im Überblick

Umfragen

Die etablierte und getestete Methode der Umfragen ist die Benchmark. Während Allensbach weiterhin auf persönliche Befragungen setzt, nutzt die Mehrheit der Meinungsforscher telefonische Befragungen (sogenannte CATI). Mit Civey und YouGov gibt es zwei Unternehmen, die rein auf Onlinebefragungen setzen und mit einem komplizierten Modell Repräsentativität errechnen.

Zwar gibt es bei den zehn Instituten keine großen Unterschiede aber dennoch ist kein Herding (wie etwa in Österreich), also der Herdentrieb der Meinungsforscher, zu beobachten. So schwanken die Werte für die CDU/CSU von 34 bis 37 Prozentpunkte, bei der SPD von 20 bis 23 Prozentpunkte und so weiter.

Poll of the Polls

Bei dieser Bundestagswahl haben sich die Poll of the Polls als Methode wohl endgültig auch in Deutschland etabliert. Ähnlich wie der S&R-Umfrageschnitt greifen fast alle Aggregatoren auf Umfragedaten zurück, gewichten diese mit unterschiedlichen Schwerpunkten und geben dann einen gemittelten Wert aus. Neun verschiedene Aggregatoren habe ich gefunden (bitte an [email protected] schreiben, wenn ich einen übersehen haben). Was auffällt: Die Streuung bei den Poll of the Polls ist weit geringer. Die CDU/CSU schwankt hier lediglich zwischen 35,7 und 36,3 Prozentpunkten, die SPD zwischen 21,6 und 22,4 Punkten. Das liegt aber in der Natur der Methode. 

Expertenbefragung

Ein Ausreißer ist die Expertenbefragung, die Pollyvote unter Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung kurz vor dem 1. September durchführte. Dort ist die Union stärker als überall sonst, dafür wird die AfD eine Spur schwächer eingeschätzt als in den meisten anderen Modell.

Wissenschaftliche Prognosen

Schon im Mai 2017 haben sich die wissenschaftlichen Prognosen der Öffentlichkeit (wir haben hier darüber berichtet) gestellt. Das länderbasierte Modell von Mark Kayser und Arndt Leininger baut in erster Linie auf die Ergebnisse vergangener Landtagswahlen auf. Hier schneiden vor allem die Grünen und die SPD deutlich besser ab. Die AfD wird aus technischen Gründen unter Sonstige subsumiert und kommt in Kombination mit den restlichen sonstigen Parteien auf einen niedrigen Wert.

 Simon Munzert und seine Kollegen von zweitstimme.org bauen in ihrem Modell auf strukturelle Komponenten, den Kanzlerbonus und den Umfragedurchschnitt. Da das Modell bis zur Wahl immer stärker auf Umfragen setzt, taucht es auch bei den Poll of the Polls nochmal auf. In der wissenschaftlichen Prognose ist die SPD (26,4%) und auch die Sonstigen (6,5%) deutlich stärker als in anderen Modellen. Zur Erinnerung bei der Bundestagswahl 2013 kamen die Sonstigen (ohne FDP und AfD) auch auf 6,2 Prozentpunkte. Auch die AfD und die Linke werden mit 8,2 und 8,1 Prozentpunkten nirgends so schlecht bewertet wie hier.

 Mixed Method

Die Mixed-Methods-Modelle von Signal & Rauschen, Pollyvote und YouGov sind komplex und für Laien nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Pollyvote setzt beispielsweise auf eine Kombination aus Umfragen, wissenschaftlichen Modellen, Expertenbefragungen und Wahlbörsen. Hervorzuheben sind zwei Werte im YouGov-Modell: Die Grünen und die FDP kommen jeweils nur auf 7 Prozentpunkte – das sind die niedrigsten Werte überhaupt.

 Wahlbörsen

Ganz anders, nämlich ähnlich wie Aktienkurse an der Börse werden die Werte in den Wahlbörsen ermittelt: Im FAZ Orakel kommt die AfD auf den Höchstwert von 13,12 Prozentpunkten, die Grünen sind hingegen relativ niedrig.

 

Hier noch einmal alle Werte als Grafik (zugegeben etwas unübersichtlich): 

Foto: andrew jay auf Unsplash

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Wahlwoche! – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/09/23/562/ Sat, 23 Sep 2017 12:35:48 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=562 Die wichtigsten Trends

Ein Spickzettel mit allen Werten der Institute, mit Meta-Berechnungen und mit Vorhersagen haben wir an dieser Stelle – hier erst einmal unser gewohnter Wochenüberblick, auch wenn natürlich diese Woche nichts mehr gewohnt ist: Bis auf Infratest dimap haben alle Institute in der vergangenen Woche neue Umfragen veröffentlicht. Ein Trend ist deutlich und hat sich auch in den letzten Wochen schon angedeutet: Die großen Parteien scheinen zum Ende des Wahlkampfes an Zustimmung zu verlieren, die kleineren Parteien legen zu – allen voran die AfD.

Union und SPD verlieren beide in vier von sechs Umfragen, wir sehen sie nun bei um die 36 Prozent und um die 22 Prozent. Sollte sich das bewahrheiten, wäre es ein neuer Tiefststand für die Sozialdemokraten: Das bisher schlechteste SPD-Ergebnis erzielte Frank-Walter Steinmeier mit 23,0 Prozent 2009. In den Rohdaten von GMS zur politischen Stimmung gibt es zudem auch kaum Hoffnung für die SPD, dort steht sie konstant bei 22 Prozent, die Forschungsgruppe Wahlen hat diese Woche keine Zahlen zur politischen Stimmung mehr veröffentlicht. Die Union hatte ihr schwächstes Ergebnis 1949 mit 31,0 Prozent, gefolgt von 2009 und 33,8 Prozent.

Die AfD hat dagegen in den letzten drei Wochen stark zugelegt, in 14 von 18 veröffentlichten Umfragen ging es nach oben. Am Wahlabend wird sich zeigen, ob das nur Vorsicht der Demoskopen ist, die Angst vor einer Unterbewertung der Rechten haben oder ob die Protestpartei ihr Potential wird einlösen können. Aktuell liegt sie bei rund 11 Prozent.

Für die Linke erwarten wir rund 10, für die FDP 9 und für Bündnis 90/Grüne 8 Prozent. Aber unter den vier kleinen Parteien sind die Dynamiken schwer einzuschätzen, hohe Fehler sind besonders durch die starken Verschiebungen der letzten Wochen möglich und am Ende könnten auch die Grünen vor der AfD liegen.

Was das jetzt heißt

Am Ende des Wahlkampfs scheint es nur zwei mögliche Koalitionen zu geben: Union und SPD oder Union, FDP und Grüne. Weil aber vor allem bei den kleinen Parteien unklar ist, wo genau welche Partei landet, können sich auch die Machtpositionen bei den Koalitionsgesprächen im Anschluss noch ordentlich verschieben.

Was wirklich wichtig war

Nun, diese Woche: Wählen gehen! Es mag wie eine hohle Phrase klingen, aber egal, ob sie mit der aktuellen Regierung zufrieden sind oder mit ihrer Stimme eine Kleinstpartei für ihre Arbeit loben wollen: Bitte gehen sie wählen. Die allermeisten Menschen, die sich für uns politisch engagieren, haben es verdient.
Einen letzten Überblick zu den wichtigsten Positionen der sechs großen Parteien haben wir noch einmal hier.

(Foto von Markus Spiske auf Unsplash)

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Germany’s Next Bundestag https://signalundrauschen.de/2017/09/21/germanys-next-bundestag/ Thu, 21 Sep 2017 14:35:24 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=551 Christian Brugger, auf Ihrer Website mandatsrechner.de kann man sich ausrechnen lassen wie viele Mitglieder der nächste Bundestag wahrscheinlich haben wird. Warum ist die Zahl der Mandate im Deutschen Bundestag nicht fixiert wie in anderen Ländern?

Durch die Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahl sowie dem föderalen Aufbau des Wahlsystems in Deutschland ist es nicht einfach, ein Sitzzuteilungsverfahren zu finden, das fair und transparent ist. Es muss den Wählerinnen und Wählern möglich sein zu erkennen, was ihre Stimme bewirkt und die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sollten dem Wählerwillen entsprechen. Beides galt nicht für das Wahlrecht, das bis 2009 angewandt wurde. Auch dort war die Sitzzahl nicht fest, sie wurde aber nur durch mögliche Überhangmandate in den Ländern beeinflusst und das hat die Mehrheitsverhältnisse verzerrt und zu negativem Stimmgewicht geführt.

Was heißt das, verzerrte Mehrheitsverhältnisse? Und was hat es mit dem negativen Stimmgewicht auf sich?

In unserem System der personalisierten Verhältniswahl soll nur die Zweitstimme darüber entscheiden, wie stark die Fraktionen im Bundestag sind. Die Erststimme soll nur darüber entscheiden, welche Personen konkret im Bundestag sitzen. Wenn im alten Wahlrecht eine Partei in einem Bundesland mehr Sitze durch Direktmandate gewann als ihr nach den Zweitstimmen eigentlich zustanden, kam es zu den sogenannten Überhangmandaten. Die Union und SPD haben diese Mandate einfach zusätzlich bekommen, ihre Fraktionen hatten dadurch mehr Sitze, als Ihnen eigentlich zugestanden hätten. Das Bundesverfassungsgericht hat 2008 allerdings entschieden: Das ist nur in geringem Umfang zulässig. Wenn die Verzerrung größer werden kann als eine halbe Mindestfraktionsstärke, das sind etwa 15 Mandate, ist das verfassungswidrig.

Dazu kommt noch das negative Stimmgewicht, das ebenfalls verfassungswidrig ist. Wer in einem Land mit Überhangmandaten mit der Zweitstimme die überhängende Partei gewählt hat, hat möglicherweise dazu beitragen, dass diese Partei in einem anderen Bundesland ein Mandat verliert. Die Stimme wirkte sich also “negativ” für die Partei aus.

Und wie löst das neue Wahlrecht diese Probleme?

Das wichtigste Prinzip im neuen Wahlrecht von 2013, ist, dass die Sitzverteilung im Bundestag so genau wie möglich dem Verhältnis der bundesweiten Zweitstimmen entsprechen sollen. Überhangmandate werden voll ausgeglichen, es kommt zu keiner Verzerrung des Endergebnisses mehr. Eine weitere Grundbedingung der Unionsfraktion, die das Gesetz maßgeblich miterarbeitet hat, war aber auch, dass dabei die Zahl der Direktwahlkreise nicht verringert werden darf und Direktwahlkreisgewinner auf jeden Fall ihr Mandat behalten sollen. Diese beiden Bedingungen erzwingen, dass der Bundestag zum Ausgleich der korrekten Mehrheitsverhältnisse immer nur vergrößert und nie verkleinert werden kann. Entstehen Überhangmandate für eine Partei so werden diese durch zusätzliche Mandate für andere Parteien ausgeglichen.

Bei der letzten Bundestagswahl gab es 33 zusätzliche Mandate. Wie groß meinst Du wird der nächste Bundestag?

Da spielen zahlreiche Faktoren hinein. Union und SPD werden immer schwächer, die Union liegt aber deutlich vor der SPD und wird einen Großteil der Direktwahlkreise gewinnen. [Anm. der Red.: Dafür ist eine einfache Mehrheit der Erststimmen im Wahlkreis ausreichend.] Dadurch wird es zu sehr vielen Überhangmandaten kommen, die ausgeglichen werden müssen. Veränderungen in der Wahlbeteiligung können ebenfalls die Größe des Bundestages beeinflussen. Es gibt Vorhersagen, die über 700 Mandate prognostizieren. In hunderttausenden Beispielrechnungen, die ich durchgeführt habe, komme auch ich bei einer überwiegenden Anzahl der Ergebnisse auf solche Zahlen. Das war aber auch schon bei der vergangenen Bundestagswahl so, trotzdem blieb die Gesamtzahl vergleichsweise gering. Ich hoffe, dass auch dieses Mal durch die ausgleichenden Effekte einer tatsächlichen, natürlichen Wahl nicht zu einem so massiven Bundestag mit mehr als 670 Mandaten kommen wird.

Die spannendste Frage ist aber natürlich die Sitzverteilung im neuen Bundestag. Was hast Du da ausgerechnet? Welche Koalitionen sind möglich?

Die Umfragewerte der Parteien waren in den vergangenen Monaten recht konstant, der Schulz-Effekt der SPD ist scheinbar völlig verpufft. Es sieht momentan so aus, als könnte es nur für eine Große Koalition, eine Jamaika-Koalition oder mit kleiner Wahrscheinlichkeit für Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün reichen.

Im Mandatsrechner lege ich besonders einen Schwerpunkt darauf, Prognosen zu den konkret gewählten Personen abzugeben. Die Seite wird daher auch im sehr großen Maße von Kandidatinnen und Kandidaten, ihren Mitarbeitern und anderen Parteimitgliedern genutzt. Ich bemerke das auch immer schon Jahre vor der Wahl und vor den Listenaufstellungen in den Parteien, wenn ich erste Anfragen dazu erhalten, wie sicher wohl bestimmte Listenplätze einzuordnen sind.

Wer regiert wird sicher auch beeinflussen, ob es eine Reform des Wahlrechts geben wird. Das aktuelle Wahlrecht wird ja gerade wegen der damit verbundenen Vergrößerung des Bundestages kritisch gesehen. Hältst Du eine Reform für notwendig?

Selbst wenn der Bundestag diesmal nicht so stark anwachsen sollte, sind weit über 700 Mandate im Wahlrecht ein durchaus mögliches Szenario. Der Bundestag wird daher mittelfristig nicht um eine Reform herumkommen. Den Vorschlag von Norbert Lammert [Anm.: CDU-Politiker und Präsident des Bundestages], die Ausgleichsmandate nur bis zu einer Gesamtgröße von 630 Mandaten zu verteilen und danach Überhangmandate nicht mehr auszugleichen, halte ich aber für den völlig falschen Wert. Das würde die Gesamtverteilung verzerren und einseitig die Union bevorzugen. Ich halte das auch für verfassungswidrig, die Union kann hier leicht wieder mehr als 15 nicht ausgeglichene Überhangmandate bekommen.

Welche Regelung würden Sie als erstes streichen?

Das momentane Wahlrecht enthält auch eine Regelung mit Sitzplatzkontigenten in den Ländern. Diese ist noch aus dem letzten, nie angewandten Wahlrecht verblieben. Damals hätte sie dafür gesorgt, dass den Bundesländern eine Mindestzahl an Mandaten garantiert wird. Da die CDU dabei wohl vor allem im Blick hatte, dass ihr schwächstes Bundesland sein einziges CDU-Mandat nicht verliert, wird dies auch „Bremen-Regel“ genannt.

Inzwischen erfüllt diese Regelung aber ihre Funktion nur noch sehr indirekt. Es gibt zwar Sitzplatzkontingente in den Ländern, diese können aber in einem späteren Schritt auch anderen Ländern zufallen. Der einzige Effekt der dadurch entsteht ist, dass es noch mehr Bundestagmandate gibt. Diese Regelung würde ich daher als erstes streichen, um die Gesamtzahl der Abgeordneten zu begrenzen. Ein verfassungsgemäßes und faires Wahlrecht mit einem kleineren Bundestag kann es aber letztlich nur geben, wenn die Zahl der Wahlkreise verringert wird oder zum Ausgleich von Überhangmandaten Direktwahlkreise nicht vergeben werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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Neues Prognosemodell von YouGov sieht AfD auf Platz 3 https://signalundrauschen.de/2017/09/19/neues-prognosemodell-von-yougov-sieht-afd-auf-platz-3/ Tue, 19 Sep 2017 15:51:01 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=546 Fünf Tage vor der Bundestagswahl präsentiert das internationale Meinungsforschungsunternehmen YouGov sein Prognosemodell zur deutschen Wahl. Demnach soll die Union mit heutigem Stand auf 36 Prozent der Stimmen und 255 Sitze im Bundestag kommen. Die SPD erhalte 25 Prozent der Stimmen und 176 Sitze. Auf Platz drei sieht das YouGov-Modell die AfD mit zwölf Prozent der Stimmen und 85 Sitzen. Danach folge Die Linke mit zehn Prozent und 74 Sitzen. Die Grünen erreichen sechs Prozent und 44 Sitze, während die FDP auf sieben Prozent und 52 Sitze kommt. Die sonstigen Parteien kommen auf 4 Prozent der Stimmen und scheitern damit alle an der Fünf-Prozent-Hürde.

 

 

Sollte die Prognose von YouGov eintreten, hätte der Bundestag 686 Sitze und wäre damit deutlich größer als jemals zuvor. Neben der Großen Koalition käme – wenn es dabei bleibt, dass niemand mit der AfD zusammenarbeiten will – nur eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen in Frage. Rot-rot-grün, Schwarz-grün oder auch eine Ampelkoalition hätte laut der Vorhersage keine Mehrheit.

 

Die Grünen könnten an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern

Vorsicht ist allerdings beim Blick auf die Schwankungsbreite geboten: Das  Konfidenzintervall für die Grünen liegt bei fünf bis acht Prozent. Damit ist es durchaus möglich, dass die Grünen nach 34 Jahren aus dem Bundestag fliegen. Bei Union und SPD beträgt die Schwankungsbreite über drei Prozentpunkte. Dementsprechend sind  laut dem Modell auch  32 % für CDU/CSU sowie 28 % für die SPD möglich. Der erste Platz für die Union gilt aber als so gut wie fix.

 

Das YouGov-Modell weicht damit weniger stark als erwartet von den Umfragen anderer Meinungsforscher ab. Im Vergleich zum S&R-Umfrageschnitt sieht YouGov die SPD und die AfD stärker und die Grünen und die AfD schwächer.

 

Zur Erinnerung, vor der britischen Parlamentswahl im Juni 2017 hatte YouGov mit Hilfe eines ähnlichen Modells abweichend von allen anderen Instituten das “hung parliament” (ohne deutliche Mehrheit) korrekt vorhergesagt (Das YouGov-Modell haben wir damals hier vorgestellt). Zu dem Zeitpunkt gingen fast alle britischen Demoskopen noch von einer satten Mehrheit für Theresa May und die Konservativen aus.

 

Die Union bleibt im Süden trotz Verlusten Spitze

Der voraussichtliche Wahlsieg der Union zeigt sich auch in der YouGov-Prognose für die Bundesländer: Die Union gewinne alle Flächenbundesländer und auch hauchdünn die Hauptstadt. In Baden-Württemberg kann sie das beste Ergebnis mit circa 40 Prozentpunkten erwarten – 2013 lag die Union aber hier noch bei über 50 Prozent. Die SPD soll lediglich in den Stadtstaaten Bremen (35%) und Hamburg (31%) vorne liegen. Die CSU werde in Bayern laut YouGov auf 42 Prozentpunkte kommen (Achtung, 5 Prozentpunkte Schwankungsbreite) – das wäre gegenüber der Bundestagswahl 2013 ein Verlust von über zehn Punkten.

 

Stärkstes Bundesland für die AfD soll Sachsen werden, wo YouGov ihren Stimmenanteil auf 18 Prozentpunkte schätzt. Das beste Landesergebnis wird Der Linken in Sachsen-Anhalt mit 24 Prozentpunkten zugetraut. Mit 9 Prozentpunkten sieht es für die Grünen in Hamburg und Baden-Württemberg am besten aus. Höchstwerte mit acht Prozentpunkten kann die FDP in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen erwarten.

 

YouGov schätzt Zusammenhänge

YouGov lehnt sich mit seinem Modell weiter aus dem Fenster als andere Meinungsforscher, die rein auf Befragungen setzen. “Wir befragen sehr viel mehr Menschen und die müssen auch nicht repräsentativ sein, aber bestimmten Wählertypen entsprechen”, sagt Holger Geißler, der wissenschaftliche Leiter von YouGov. “Wenn ich weiß, wie häufig bestimmte Wählertypen in welchen Wahlkreisen vorkommen, kann ich für jeden Wahlkreis eine Schätzung der Wahlabsicht machen,” sagt Geißler. Die junge Methode der Multilevel Regression and Post-Stratification, die in den USA entwickelt wurde, erlaubt so für jeden Wahlkreis gemäß der soziodemografischen Zusammensetzung eine Wahlprognose. “Das Modell versucht auf Basis einer nicht-repräsentativen Stichprobe, dennoch repräsentative Ergebnisse zu liefern,” sagt Arndt Leininger*, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz, der YouGov beraten hat. Allerdings veröffentlicht YouGov nur die Länderergebnisse, da die Schwankungsbreite in den einzelnen Wahlkreisen zu hoch sei.

 

Oder um es mit dem berechneten Modell auszudrücken: Ein 60 bis 64-jähriger Mann im Südwesten von Köln mit moderatem Interesse für Politik und abgeschlossenem Abitur, der 2013 die CDU gewählt hat, wählt 2017 mit 73 Prozent Wahrscheinlichkeit wieder die Union. Die Wahrscheinlichkeit, dass er SPD, FDP oder AfD wählt sind sechs, zehn respektive sechs Prozent. Eine junge Frau (25 bis 29 Jahre alt) mit gleichen Charakteristiken wählt hingegen diesmal zu 69 Prozent CDU, zu sechs Prozent SPD, zu 13 Prozent FDP und zu vier Prozent AfD. Würden die beiden nicht in Köln, sondern in Berlin-Mitte wohnen, hätte der ältere Mann nur eine 68 Prozent Wahrscheinlichkeit CDU zu wählen, die junge Frau nur 61 Prozent. “Das ist auch ein Beispiel für eine allgemeine Entwicklung, die wir sehen, dass die CDU in Westdeutschland ihre Wähler von 2013 besser halten kann als in Ostdeutschland,” sagt Ben Lauderdale, der das Modell mitentwickelt hat.

 

Jeden Tag befragt YouGov 1200 Menschen im Internet; insgesamt fließen 17 000 Befragte Menschen der letzten zwei Wochen in das Modell ein. Bis zum Samstag vor der Wahl wird das Modell jeden Tag hier aktualisiert.

 

Bei der Implementierung des britischen Modells in Deutschland gab es laut Geißler zwei wesentliche Herausforderungen: Das komplizierte Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme sowie die mangelnden Daten in Deutschland, was wohl mit den strengen Datenschutzregeln hier zu tun hat. “Es gibt eine sehr viel bessere Datenlage in anderen Ländern”, sagt Geißler. “Die zugrunde liegenden Daten sind in Deutschland nicht so reichhaltig wie wir es gerne hätten.” Zur Berechnung hat YouGov Zensusdaten und Strukturdaten des Bundeswahlleiters verwendet und auch bei Microm Daten zur sozioökonomischen Verteilung, Bildung, Alter, Einkommensklassen und Arbeitslosenquote auf Ebene der Wahlkreise zugekauft.

 

An Ströbele scheitert YouGov

Überall dort, wo Ausnahmekandidaten das Erst- und Zweitstimmenergebnis weit auseinander ziehen, versage das YouGov-Modell, sagt Geißler. Wenn Wähler und Wählerinnen weit über die Parteigrenzen hinweg auf Grund der Sympathie für einen Direktkandidaten stimmen, lässt sich das Wahlverhalten nicht mehr nach dem soziodemografischen Schema schätzen. Ein solcher Fall war in der Vergangenheit Grünen-Ikone Hans-Christian Ströbele, der 2013 als einziger Kandidat seiner Partei  ein Direktmandat gewann.  

 

*Arndt Leininger hat auch mitgeholfen den S&R-Umfrageschnitt zu entwickeln.

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Woche 37 – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/09/17/woche-37-was-die-umfragen-zeigen/ Sun, 17 Sep 2017 07:26:00 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=534 Die wichtigsten Trends

Wir haben es alle miteinander geschafft: Dies ist der letzte Wochenüberblick vor der Wahl – und tatsächlich kommt in die Umfragen noch einmal Bewegung, einige Zahlen sind sogar leicht widersprüchlich zueinander. Fünf Umfragen sind erschienen und die FDP verliert in zwei, gewinnt in drei, die Linke gewinnt zwei Mal, bleibt zwei Mal gleich und verliert ein Mal.

Deutlicher sind aber zwei Trends: Die Union hat noch einmal verloren, von 12 Umfragen in den letzten 14 Tagen ging es in 9 nach unten. Im S&R-Schnitt verloren CDU/CSU rund zwei Prozentpunkte, in der Prognose etwa 1,5 Prozentpunkte, so dass die Union nun bei knapp 37 Prozent steht. Die AfD dagegen gewinnt in vier Umfragen diese Woche hinzu, in den letzten beiden Wochen gab es in 9 von 14 Umfragen ein Plus. Um die zehn Prozent sind derzeit unser Schnitt und unser vorhergesagtes Ergebnis.

Was das jetzt heißt

Die SPD bleibt weiter konstant hinter der Union, daran gibt es nichts zu rütteln. Oder vielleicht doch? Es gibt noch einen winzigen Lichtblick für die Sozialdemokraten, aber die Hoffnung ist winzig. Die Forschungsgruppe Wahlen veröffentlicht die Politische Stimmung unter den Befragten mit – und dort konnte die SPD die Lücke auf die Union von 20 Prozentpunkten vor zwei Wochen auf nur noch 6 Punkte in dieser Woche verkürzen. Ein wichtiges Wort der Vorsicht: Es handelt sich nur um ein Institut und auch nicht die Projektion, sondern nur die Wiedergabe der Stimmung einer Woche. In der Projektion bewegt sich deutlich weniger und die SPD kann den Rückstand nur von 17 auf 13 Punkte verkürzen.

Wir bleiben bei unserer vorsichtigen Bewertung der AfD: Seit Donald Trumps Wahl schnitten rechte und rechtskonservative Parteien oft schlechter ab als zuvor erfasst. Die Institute scheinen aus Angst vor der angeblichen „schweigenden Mehrheit“ die Parteien überzubewerten – oder möglicherweise gelingt den Gruppierungen eben doch die Mobilisierung schlechter als wahrgenommen.

Trotzdem muss es deutlich gesagt werden: Die fremdenfeindliche und rückwärtsgewandte Alternative für Deutschland hat eine realistische Chance, die stärkste Oppositionspartei Deutschlands zu werden, derzeit mit rund zehn Prozent aller Stimmen.

Diese Woche erleben wir dann die letzten Umfragen vor der Wahl, YouGov will zudem am Mittwoch eine Prognose für Sonntag veröffentlichen.

Was wirklich wichtig war

Wahlkampf, Wahlkampf, Wahlkampf. In dieser Phase jetzt noch mit frischen Ideen durchdringen zu wollen, dürfte beinahe unmöglich sein und die Parteien besinnen sich eher darauf, ihre Kernklientel überhaupt zur Stimmabgabe zu motivieren.

Für ein wenig Furore hat da vielleicht noch am Ehesten ein von vielen Parteien unterstützter Vorschlag gesorgt, wonach die Legislaturperiode künftig fünf statt vier Jahre dauern soll. Spitzenpolitiker aus CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP haben den Vorstoß befürwortet.

(Foto von Michael Brooks Jr. auf Unsplash)

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Woche 36 – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/09/10/woche-36-was-die-umfragen-zeigen/ Sun, 10 Sep 2017 19:40:58 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=527 Die wichtigsten Trends

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl drehen die Institute auf: Alle sieben großen Unternehmen haben neue Zahlen veröffentlicht. Die beiden großen Parteien zählen zu den Verlierern: Die Union hat in allen sieben Befragungen verloren, in unserem etwas trägeren Modell verliert sie rund einen halben Prozentpunkt, steht aber immer noch bei rund 37 Prozent.

Die SPD hingegen hat nicht hinzugewonnen, aber das ist eben in der aktuellen Situation auch schon eine Niederlage, denn die Sozialdemokraten hätten die Lücke auf die Union mit dem TV-Duell dringend schließen müssen. Danach sieht es im Moment nicht aus: Drei Erhebungen wurden komplett nach dem Duell erfragt, in zweien blieben die SPD-Werte gleich, bei Infratest dimap ging es sogar um zwei Punkte nach unten.

Positiver sind die neuen Zahlen für die kleinen Parteien: Die AfD setzt ihren Aufwärtstrend fort und gewinnt in fünf von sieben Umfragen hinzu. Die FDP in vier von sieben. Es ist weiter kaum möglich zu sagen, welche der vier kleineren Parteien auf dem dritten Platz landen wird.

Was das jetzt heißt

Es fällt schwer, sich noch irgendein Szenario auszudenken, in dem die SPD den Rückstand von weiter rund 15 Prozentpunkten auf die Union in zwei Wochen aufholen will. Platz 1 und 2 scheinen bei dieser Wahl inzwischen gesetzt.

Völlig offen ist weiterhin, wer drittstärkste Kraft wird. Die AfD hat in den letzten Wochen Boden gut gemacht. Allerdings haben seit Donald Trumps Wahl rechte und rechtskonservative Parteien oft schlechter abgeschnitten als zuvor erfasst. Die Institute scheinen aus Angst vor der angeblichen „schweigenden Mehrheit“ die Parteien überzubewerten – oder möglicherweise gelingt den Gruppierungen eben doch die Mobilisierung schlechter als wahrgenommen.

Trotzdem muss es deutlich gesagt werden: Die fremdenfeindliche und rückwärtsgewandte Alternative für Deutschland hat eine realistische Chance, die stärkste Oppositionspartei Deutschlands zu werden.

Bei der FDP scheinen die Bäume dagegen nicht endlos in den Himmel zu wachsen, denn nach Wochen des langsamen und stetigen Aufstiegs wirken die Umfragen derzeit so, als ob ein Plateau erreicht sei. Die Linken liegen noch knapp vor den anderen kleinen Parteien, die Grünen haben sich auf einem sicher für den Bundestag reichenden Niveau stabilisiert.

Unter dem Strich trennen die vier kleinen Parteien in unserem S&R-Schnitt 1,4 Prozentpunkte, in der Prognose, also der Vorhersage für den Wahltag, sind es sogar nur 0,6 Prozentpunkte – zuverlässige Aussagen darüber, wer wirklich vorne liegt, sind damit nicht möglich.

Was wirklich wichtig war

Das TV-Duell hat keine Wende gebracht und politisch fällt es nun schwer, sich überhaupt noch ein Szenario und ein Thema auszumalen, mit dem die SPD der Kanzlerin und der Union beikommen will. Inhaltlich besinnen sich die Parteien auf ihre Kernthemen, neue Akzente sind kaum noch wahrnehmbar.

(Foto von Jens Rademacher auf Unsplash)

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Woche 35 – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/09/03/woche-35-was-die-umfragen-zeigen/ Sun, 03 Sep 2017 13:58:24 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=509 Die wichtigsten Trends

Der Wahlkampf hat sich schleichend in den Wahlmonat September vorgearbeitet. Noch drei Wochen bis zur Stimmabgabe und für die SPD gehen die Linien in den Umfragegrafiken weiter in die falsche Richtung, nämlich zur Seite statt nach oben. Fünf neue Sonntagsfragen sind in der letzten Woche veröffentlicht worden, in zweien davon ging es für die Sozialdemokraten um einen Prozentpunkt hoch – aber das ist viel zu langsam, um bis zum 24. September noch den Trend rumzureißen. Auch die Union hat leicht verloren, in den letzten zwei Wochen ging es um einen Prozentpunkt nach unten. Bei den vier kleinen Parteien sind kaum eindeutige Signale zu erkennen.

Was das jetzt heißt

Letzte Woche schauten wir an dieser Stelle auf die Chancen einer Mehrheit für eine schwarz-gelbe Koalition. Volksseelen-Psychologe Stephan Grünewald setzt im Spiegel-Interview (noch nicht online) auf diese Kombination: „So ergibt sich ein Dream-Team. Die bewährte Merkel und ein kleiner deutscher Macron, der ihr auf die Sprünge hilft.“

Die Umfragen sehen das noch nicht ganz so deutlich: Die Spanne reicht von 45 Prozent bei INSA und Infratest dimap bis zu 49,5 Prozent bei Allensbach und 49 Prozent bei der Forschungsgruppe Wahlen. Allerdings kommt Schwarz-Gelb dort in der kurzfristig orientierteren politischen Stimmung sogar auf 53 Prozent, es gibt also ein gewisses Momentum hinter dieser möglichen Kombination.

Was wirklich wichtig war

Mehr als 16 Millionen Menschen haben das TV-Duell geschaut, die vermutlich letzte Chance für Martin Schulz, noch einmal einen größeren Teil unentschlossener Wähler für sich zu gewinnen. Direkt danach haben Infratest dimap für die ARD und die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF Zahlen veröffentlicht.

Besonders die ARD hatte es eilig und direkt bei Anne Will im Anschluss einige Zahlen veröffentlicht, die sich nur auf die Hälfte der Sendung bezogen. Später wurde die Umfrage noch einmal aktualisiert. Mit 55 Prozent zu 35 Prozent fanden die Zuschauer Merkel überzeugender, ein deutliches Votum, das die Kanzlerin bisher noch nie erreicht hat. Einziger Lichtblick für Schulz: In der Kanzlerfrage konnten sich nach dem Duell mehr Menschen vorstellen, ihn zu wählen. Sein Wert stieg von 26 Prozent auf 34 Prozent – Merkel würden allerdings 54 Prozent der Befragten wählen.

Im ZDF war die Lage etwas knapper, die Forschungsgruppe Wahlen hat dort in einer Blitzumfrage keinen klaren Sieger gesehen. Die Kanzlerin schnitt mit 32 Prozent Zustimmung nur leicht besser ab als Schulz mit 29 Prozent. Bei den noch unsicheren Wählern lag Schulz mit 29 Prozent vor der Kanzlerin mit 25 Prozent.

Wichtig unterm Strich in jedem Fall: Diese Werte sind nicht das Aufbruchssignal, das sich Schulz erhofft haben dürfte.

Außerdem sei diese Zusammenfassung bei Civey empfohlen, wonach es auch bei der Kanzler-Frage keine Wechselstimmung gibt. Sogar in der Europapolitik bestätigen die Deutschen Angela Merkel die größere Kompetenz, während Martin Schulz dafür bei Sozialer Gerechtigkeit leicht punkten kann.

(Foto von Daniel von Appen bei Unsplash)

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Wie Meinungsumfragen Demokratie verändern https://signalundrauschen.de/2017/09/01/wie-meinungsumfragen-demokratie-verandern/ Fri, 01 Sep 2017 12:56:25 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=498 Je näher die Bundestagswahl rückt, desto mehr Menschen schauen auf die Umfragen von Wahlforschungsunternehmen, die die politische Stimmung im Land wiederzugeben versuchen. Daher können Umfragen gerade in den letzten Wochen vor der Wahl das Wählerverhalten beeinflussen. Andererseits kann unabhängige Meinungsforschung als Pfeiler demokratischer Staaten betrachtet werden. Das Interesse an Meinungsumfragen steigt stetig, Institute müssen ihre Methoden jedoch ständig an Veränderungen der politischen Kultur anpassen, um aussagekräftig zu bleiben.

Auf Einladung des Wissenschaftsprojekts die Debatte diskutierten Politikwissenschaftler und Umfrageunternehmen unter dem Titel „Die Macht der Meinungsforscher – wer weiß, wen wir wählen?“ am Donnerstagabend in der Hörsaalruine der Charité über Veränderungen in der Wahlforschung und künftige Herausforderungen.

 

Umfrageforschung als Geschäft

„Seit Beginn der Umfrageforschung in den 50er Jahren ist die Anzahl und die Frequenz von Meinungsumfragen stetig gestiegen“, stellte Moderator Christoph Koch vom Magazin Stern fest. „Heute haben wir eine hochfrequente Demoskopie“, so Koch. Umfrageforschung ist ein Geschäft, in dem viele Akteure miteinander konkurrieren. Ist das ein Problem? „Im Gegenteil“, findet Dr. Nico A. Siegel, Geschäftsführer von infratest dimap. Nur durch die Pluralität von Akteuren und Ansätzen könne es eine gegenseitige Kontrolle und eine „marktgegebene Korrektur“ von Ergebnissen geben. Die sei wichtig, da „die Art der Messung nicht neutral sein kann“. Schon allein Reihenfolge oder Wortlaut der Fragen könnten Umfrageergebnisse beeinflussen.

Über den besten Ansatz zur Erhebung von Daten gibt es bei den Instituten deutliche Meinungsverschiedenheiten, wie im Austausch zwischen Civey-Gründerin Janina Mütze und infratest-Geschäftsführer Siegel deutlich wurde. Wann eine Umfrage repräsentativ ist, stellt dabei die zentrale Frage dar. Siegel kritisierte, dass die Auswahl der vom Online-Befragungsunternehmen Civey Umfragenteilnehmer nicht nach dem Zufallsprinzip gemacht werden. Dies sei jedoch bedeutend dafür, ob eine Umfrage als repräsentativ gelten könne. Die tatsächlich zufällige Auswahl von Teilnehmern sei heutzutage nicht mehr leistbar, da beispielsweise die Bereitschaft zur Teilnahme an Telefonumfragen stetig sinke und tendenziell nur noch bei einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gegeben sei, entgegnete Mütze. Civey setze daher auf die Größe des Befragungspanels und damit die Anzahl erhobener Daten.

 

„Medien haben ihren Umgang mit Umfragen stark verbessert“

 

Als ein Grund für Unterschiede zwischen Umfragen und Wahlergebnissen wurde der Einfluss von Meinungsumfragen auf die Wahlbevölkerung genannt. „Es besteht die Möglichkeit, dass sich eine Umfrage durch ihre eigene Veröffentlichung selbst ad absurdum führt, indem sie ein entgegengesetztes Wählerverhalten erzeugt“, sagte Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Universität Mainz. Dies könne man aber nicht als Fehler der Forschungsinstitute verbuchen. Stattdessen sei der Umgang mit Umfrageergebnissen von hoher Bedeutung. Gerade hier liege die Verantwortung nicht allein bei den Instituten. „Umfrageergebnisse entfalten ihre Wirkung über Multiplikatoren, dazu zählen vor allem Medien“, sagte Siegel von infratest dimap.

Diese haben ihren Umgang mit Umfrageergebnissen inzwischen stark verbessert, waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig. „Auf der Seite der Redaktionen hat es viel Selbstreflexion gegeben“, betonte Mütze von Civey. Statistische Unsicherheiten und Fehlerquoten würden inzwischen viel häufiger angegeben. Auch der Umstand, dass Umfragen keine Prognose sondern lediglich ein aktuelles Stimmungsbild wiedergeben, werde heute deutlicher gemacht als vor einigen Jahren. „Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass eine Wahlumfrage wie eine Fiebermessung funktioniert“, sagte Faas. Möglicherweise könnten Medien den  „Mobilisierungsgrad der Bevölkerung noch besser anzeigen“, so Faas. Wahlbeteiligung und die Anzahl der unentschlossenen Wähler könnten demnach noch stärker betont werden.

Siegel erklärte, infratest dimap habe sich gemeinsam mit der ARD entschlossen, auch bei dieser Bundestagswahl zehn Tage vor der Wahl die letzen Umfrageergebnisse zu veröffentlichen. „Wir wollen die Wähler kurz vor der Wahl möglichst unbeeinflusst lassen“, sagte Siegel. Es gebe gute Gründe für dieses Vorgehen, er könne sich aber dennoch vorstellen, bei künftigen Wahlen anders zu entscheiden.

 

Wahlforschung der Zukunft – Methoden weiterentwickeln

 

Auch darüber, wie sich Umfrageforschung in Zukunft entwickeln wird, gehen die Auffassungen auseinander. Civey sehe die Zukunft in der Onlinebefragung, so Mütze. „Ich glaube nicht, dass die Teilnahmebereitschaft an Telefonumfragen wieder zunehmen wird“, sagte die Civey-Mitgründerin. Infratest dimap setze stattdessen auf ein Hybridmodell aus Telefon-, Online- und Face-to-face-Befragungen, so Siegel. „Datenschutz wird künftig ein noch wichtigeres Thema werden, mit dem wir uns beschäftigen müssen“, sagte Siegel. Vor allem müssten Umfragemethoden kontinuierlich weiterentwickelt und angepasst werden. Siegel betonte außerdem, dass trotz der hohen Anzahl und Frequenz an Informationen durch Erhebungen, noch viele Fragen in Bezug auf die Bundestagswahl offen sind. Die Spannung auf das Wahlergebnis am 24. September können uns Wahlumfragen aus seiner Sicht daher nicht nehmen.

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Woche 34 – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/08/27/woche-34-was-die-umfragen-zeigen/ Sun, 27 Aug 2017 19:26:23 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=489 Die wichtigsten Trends

Am Sonntag waren es noch vier Wochen bis zur Wahl und in den sieben Tagen zuvor haben wir einen Rekord bei den Umfragen erlebt: Sechs Institute haben neue Zahlen veröffentlicht.

Sie sahen vor schlecht für Union und SPD aus, aber brachten gute Nachrichten für FDP und AfD. CDU/CSU und SPD haben in vier beziehungsweise fünf Umfragen leicht verloren, für die Liberalen ging es vier Mal um einen Prozentpunkt rauf. Die AfD legte ebenfalls in vier Fällen zu, ein Mal davon sogar um zwei Punkte. Bei den anderen Parteien ist das Bild nicht eindeutig.

Was das jetzt heißt

Die neuen Zahlen geben uns Gelegenheit, einmal auf die Chance einer schwarz-gelben Koalition zu schauen. Besonders die Werte von Allensbach legen eine solche Option nahe, dort kommen beide Parteien auf 49,5 Prozent, was bei vier Prozent sonstigen Stimmen für eine Mehrheit der Sitze reichen würde. Infratest dimap sieht beide Parteien zusammen dagegen nur bei 46 Prozent.

Wir berechnen in unserem Schnitt aktuell knapp über 47 Prozent für Union und FDP. In unserer S&R-Prognose für den Wahltag, die auch vorangegangene Landtagswahlen als wichtigen Indikator heranzieht, ist Schwarz-Gelb aber eher unsicher. Dort kommen Union und FDP auf rund 46,5 Prozent, was wohl nicht für eine Mehrheit der Sitze reichen würde.

Was wirklich wichtig war

Wir erleben mehr und mehr den Versuch, Themen zu setzen. Besonders Martin Schulz versuchte vergangene Woche, sich von der Union abzusetzen. Seine beiden Vorschläge bekamen allerdings viel Kritik.

Zuerst kündigte er an, sich im Falle eines Wahlsiegs dafür einzusetzen, dass US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Der Union hat das nur ein Schulterzucken abgeluchst. Die Linke beklagte sogar, dass sie das schon lange fordere, aber doch bisher die SPD blockiere.

Außerdem hat Schulz in einem Interview mit der ADAC Motorwelt erklärt, dass er die bisher für 2019 geplante Pkw-Maut nicht einführen werde. Aber auch da gab es kaum enthusiastische Reaktionen – was möglicherweise daran liegt, dass die Maut eher Fahrer ausländischer Pkw in Deutschland trifft.

(Foto von Marian Beck bei Unsplash)

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Woche 33 – Was die Umfragen zeigen https://signalundrauschen.de/2017/08/20/woche-33-was-die-umfragen-zeigen/ Sun, 20 Aug 2017 17:40:14 +0000 https://signalundrauschen.de/?p=479 Die wichtigsten Trends

Fünf Wochen sind es noch bis zur Wahl, vier Umfragen sind in der letzten Woche erschienen. Nachdem es letzte Woche kleine Zugewinne bei der SPD gab, hat sich das diese Woche schon wieder erledigt: In einer der vier Umfragen hat die SPD leicht verloren, in den anderen drei blieben ihre Werte im Vergleich zur vorhergehenden Erhebung gleich.

Die Union hingegen gewinnt zwei Mal leicht hinzu und verliert in einer Umfrage einen Prozentpunkt – damit bleibt sie in unserem S&R-Schnitt im Vergleich zur Vorwoche auch gleich bei knapp 39 Prozent der Stimmen.

Was das jetzt heißt

Der SPD läuft die Zeit davon. Inzwischen müsste sie rund drei Prozentpunkte pro Woche bis zur Wahl aufholen und danach sieht es im Moment überhaupt nicht aus. GMS und Infratest dimap veröffentlichen neben den Werten der Sonntagsfrage noch die sogenannte “Politische Stimmung”, also die ungefilterte Antwort darauf, wen die Befragten jetzt gerade wählen würden, ohne eine Korrektur wegen langfristiger Bindungen. Dieser Wert ist ein Frühindikator, ob sich die Stimmung dreht und möglicherweise die Werte beim Urnengang nachziehen werden. Hier aber liegt die SPD sogar noch leicht unter den Werten der Sonntagsfrage – von Momentum oder Wechselstimmung keine Spur.

Was wirklich wichtig war

Viele beschweren sich, gar nicht so richtig zu wissen, wofür die Parteien stehen. Die Kollegen bei DEMO, einem Projekt zur besseren Politikvermittlung an junge Wähler, haben einen großartigen Spickzettel zusammengestellt. Er enthält relevante Politikbereiche und die Forderungen der sechs großen Parteien dazu.

(Foto von Elke Karin Lugert auf Unsplash)

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